Donnerstag, 11. September 2008

Jack White rechnet ab


Jack White ist einer der erfolgreichsten Musik­produzenten Deutschlands, hat mit weit über 1000 Liedern aus normalen Menschen Stars gemacht. Wie aus Horst Nußbaum Jack White wurde und warum ihn heute weder ein Hansi Hinterseer noch ein Dieter Bohlen interessieren, erzählt er dem österreichischen Nachrichtenmagazin Echo. Ein Überblick aus dem von ihm autorisierten Bericht.

„ Dieter Bohlen hat ein großes Problem: Der wird nie dahin riechen, wo ich schon längst hingeschissen habe.“ Jack White über Dieter Bohlen

„ Man kann seine Fans nicht bescheißen, indem man nicht live singt – Todsünde.“ Jack White über das Gerücht, Hinterseer singe nicht live

Jack White alias Horst Nußbaum wurde am 2. September 1940 in Köln geboren. Er wurde von Hennes Weisweiler für den Profi-Fußball entdeckt und spielte zuletzt für den PSV Eindhoven. Seine eigene Karriere als Sänger scheitert, als Produzent war und ist er dafür umso erfolgreicher. Weit über 600 Millionen Tonträger gibt es weltweit mit seiner Musik, er erhielt bislang 400 Gold-, Platin-, Triplegold-, Doppelplatin und Tripleplatin-Platten und wurde mit dem Bambi, dem RTL-Ehrenlöwen, der Goldenen Europa, der Goldenen Stimmgabel sowie dem BZ-Kulturpreis 1999 ausgezeichnet. Jack White lebt mit seiner Frau Janine und seinen beiden Töchtern in Berlin und Kitzbühel - aus früheren Ehen hat er drei weitere Kinder. White hat außerdem einige Reisebücher verfasst. Seit Januar 2008 betreibt er eine eigene Firma, die Gloriella Music.

HORST UND JACK
Horst Nußbaum wird am 2. September 1940 in Köln ge­boren, als Sohn eines Metzgers. Leicht hatte es die Familie mit zwei Kindern da­mals nicht, in den Wirren des Krieges und den anschließenden Jahren des Aufbaus. Als Nußbaum zwölf Jahre alt ist, verlässt der Vater die Familie und verschwindet spurlos. White wird ihn erst viele Jahre später wiedersehen – als er schon lange berühmt ist, erinnert der Vater sich an seinen Sohn, sie treffen sich in Berlin. „Ich war gespannt, was er zu sagen hatte. Aber er wollte nur Geld, da hab ich ihn rausgeschmissen“, erzählt White. Viele Jahre später erfährt er von seiner Tochter aus erster Ehe, dass sein Vater im Kran­kenhaus ist. White ruft ihn nicht an, und zwei Wochen später stirbt er. Es berührt White nicht. „Der hat einfach Scheiße ge­baut. Ich kann keine Kinder in die Welt setzen und dann einfach abhauen, das geht nicht. Als Mann hat man Verantwor­tung, als Vater erst recht“, meint White.

1969 schickt er Roberto Blanco, den sonst niemand pro­duzieren will, zum Deutschen Schlagerfes­tival. Sänger und Titel („Heute so, morgen so“) überzeugen – und gewinnen. Kurz darauf folgt Tony Marshall mit „Schöne Maid“. Das war’s. Würde man nun Jack White zitieren, käme einer seiner Lieb­lingssätze: „Und der Rest ist Geschichte.“ Ja, ist es auch, aber hören möchte man die Geschichte trotzdem. Was macht man, wenn man plötzlich einen derartigen Er­folg hat? „Als ich mit Marshall den ersten deutschen Nummer-Eins-Hit hatte, war das der Durchbruch vom normalen Bür­ger, der seine monatlichen Raten für sein Auto zahlen muss, dem wichtig ist, ob die Stromrechnung 30 oder 45 Mark beträgt, zum Millionär – obwohl das ein hässliches Wort ist für Leute, die das vielleicht nie werden können, aber das war irre.“ Über Nacht wird die Stromrechnung, beinahe jede Rechnung zur Kleinigkeit. White ist reich und berühmt. Was macht man denn als Millionär als Erstes? „Ich habe ein Haus gekauft“, meint er und zeigt sich verblüfft. Diese simple Frage habe ihm noch nie jemand gestellt. 150.000 Mark hatte er damals, das Haus, in welches er sich in Berlin verguckt hat, kostete aber über eine Million plus 40.000 Mark Mak­lerprovision. White geht mit den 150.000 zu den Eigentümern, und meint: Wenn er in drei Monaten das Haus nicht bezah­len kann, gibt er es zurück und auf die 150.000 verzichtet er. Der Deal funktio­niert. Denn drei Monate später kommt die GEMA-Abrechnung (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechani­sche Vervielfältigungsrechte) – die „schö­ne Maid“ ist ein Millionenhit. Der erste von vielen. Es folgen Hunderte Lieder, die er für Andrea Jürgens, Jürgen Marcus, Le­na Valaitis und viele andere schreibt. Der Mann ist nicht mehr aufzuhalten. Und als das Schreckgespenst des Deutschen Schlagers Einzug hält, die Neue Deutsche Welle, weiß White, was zu tun ist. Ende der 1970er-Jahre geht er nach Amerika. „Mit dieser Neuen Deutschen Welle konnte ich nichts anfangen, denn ich war immer ein Melodienmann“, blickt White zurück auf jene Zeit, als er seiner Sekretärin verkündete, er sei mal eben für drei Monate weg, um sich in den USA ins kalte Wasser zu schmeißen. Lehrgeld zahlt er dort, aber mit seinem „sprichwörtlichen Riecher, den man haben muss als Produ­zent“ entdeckt er Steve Woods und landet mit ihm den ersten Hit in den amerika­nischen Top 40. Wieder ein Durchbruch. „Da wurden mir dann alle möglichen Su­perstars angeboten, Bette Midler, Man­hatten Transfer, Donna Summer – große Namen, aber das hat sich alles nicht gut angefühlt.“ In gemachte Nester setze er sich nicht, so seine Lebensphilosophie – er ist der Macher, nicht der Trittbrett­fahrer. Und machen, das kann er: Laura Branigan, bislang erfolglos, kommt in sein Studio, und geht mit Nummer-Eins-Hits wie „Self Control“ und „Gloria“ wieder hinaus – „Nummer Eins in Amerika, es gibt nichts Besseres oder Größeres, dieses Gefühl kann man auch keinem Menschen erklären.“ Es folgen Paul Anka, Barry Manilow, Pia Zadora, Jermaine Jackson, Tony Christie, Anne Murray und Engel­bert Humperdinck. Er entdeckt Audrey Landers aus der Serie „Dallas“ und Da­vid Hasselhoff aus „Knight Rider“, landet weitere Hits. Und auch Diane Warren, eine der erfolgreichsten Songschreiberin­nen, wird von ihm produziert. Den Na­men Jack White kennt mittlerweile jeder, der Mann scheint ein Garant für Erfolg.

FALSCHE FREUNDE.
Deshalb ist es ihm heute auch ziemlich egal, wenn jemand wie Dieter Bohlen über ihn sagt, er sei „ein mittelmäßiger Musikproduzent aus Berlin, der schon seit Jahren vergeblich auf einen Hit wartet“. „Ach, na ja“, meint White. „Dieter Bohlen hat ein großes Problem: Der wird nie dahin riechen, wo ich schon längst hingeschissen habe. Sein großes Problem mit mir ist, dass ihn in Amerika niemand kennt, dass er dort keinen Erfolg hat, obwohl er es jahrelang versucht hat.“ Auf dieses Niveau begibt White sich nicht. „Der Riesenvorteil, wa­rum Bohlen eine große Klappe riskieren kann, ist der, dass sein bester Freund der mächtigste Mann Deutschlands ist, näm­lich der Chefredakteur der BILD-Zei­tung.“ Und Bohlen als Produzent? „Also wenn ich jedes Mal den Sieger eines Wett­bewerbs (Anm.: „Deutschland sucht den Superstar“, Bohlen sitzt in der Jury der Sendung von RTL), wo Millionen Leute zugucken, produziere, dann könnte der­jenige ,Hänschen klein‘ singen, und man würde auch damit eine Nummer Eins lan­den. Vor Kollegen wie Frank Farian oder Harold Faltermeyer hab ich hohe Ach­tung. Bohlen ist Bohlen. Er kann mich nicht beleidigen.“ Beleidigen kann White auch ein Hansi Hinterseer nicht, mensch­lich enttäuschen aber sehr wohl.


Kennengelernt hatten sich die beiden in Kitzbühel, es waren ihre Frauen, Janine und Romana, die sich sympathisch fanden, und wenn Frauen sich verstehen – „mit uns Männern ist das ja immer ganz, ganz einfach“, meint White. Die Whites luden die Hinterseers künftig öfters zu privaten Feiern ein, Feiern, bei denen auch gespielt und gesungen wurde. Hinterseer habe da ab und zu ein bisschen mitgemacht, erinnert sich White. „Ich dachte mir, er kann ja auch ein bisschen singen, viel­leicht mach ich mit ihm mal eine Platte.“ Als Hinterseer dann finanzielle Sorgen plagten, wollte White, wie er sagt, seinem Freund helfen. „Der Hansi war der einzi­ge Künstler in meinem Leben, wo aus ei­nem Freund, nur weil ich ihm helfen woll­te, ein Künstler geworden ist. Sonst wär ich nie auf die Idee gekommen, mit einem Skifahrer ins Studio zu gehen und eine Platte aufzunehmen.“ In Kitzbühel wisse man sehr gut, wie es damals, Anfang der 1990er, um Hinterseer gestanden habe, die Zwangsversteigerung seines Hauses soll gedroht haben. Als die Hinterseers am 13. April 1993 zu Gast bei der White’schen Hochzeit in Berlin sind – Romana Hin­terseer mimte die Trauzeugin – „bin ich mit dem Hansi zwischen Mittagessen und Nachmittagsbüffet ins Studio, ich wollte das Lied ,Du hast mich heut noch nicht geküsst‘ mit ihm ausprobieren, wie er im Studio klingt. Ich fand das damals o.k., und dachte mir, das Schlimmste, das pas­sieren kann, ist, dass es keiner haben will.“ White produziert das Lied mit Hinterseer, „zum Leidwesen“ des Kitzbühler Barden dauerte es dann noch ein dreiviertel Jahr, bis das Werk veröffentlicht wird. „Ich hab immer gesagt: Wir brauchen zum Start eine große Fernsehsendung, denn er hat ja die schönsten Augen der Welt, und die müssen vor die Kamera.“ Es klappt schließlich mit Karl Moik im Musikan­tenstadel, Hinterseers Augen geben wohl den Ausschlag und machen ihn zum Star, über Nacht. „Wir haben das Ganze auch wirklich gut aufgebaut, von hinten sind da die Fäden gezogen worden – und es hat funktioniert.“

14 Jahre Zusammenarbeit, über 14 Jahre Freundschaft haben jetzt allerdings ein Fi­nale furioso gefunden. Als White sich letz­tes Jahr dazu entschließt, seine eigene Fir­ma, die Jack White Productions AG (siehe Kasten), zu verlassen, um etwas Neues zu beginnen, will er Planungssicherheit. Im Juli 2007 trifft er sich mit Hinterseer in Kitzbühel. In Whites Auto sitzend, spielt der Produzent ihm ein paar neue Korrek­turen seines Albums vor. Und erklärt ihm seine neuen Pläne: „Darauf meinte Hinter­seer, das müsse er erstmal mit seinen Be­ratern besprechen. Da hab ich schon mal geschluckt, und hab mich gefragt, wo wa­ren die wohl alle 1993. Eigentlich dachte ich ja, dass ich immer sein Berater gewesen war in all den Jahren.“ Man verabschiede­te sich, Hinterseer sollte White so bald wie möglich Bescheid geben, ob er mit ihm in seine neue Firma wechseln wolle. Fünf Monate später meldet er sich – über die Presse – und erteilt seinem Freund und Mäzen eine klare Abfuhr: Er wolle gegen­über der JWP AG nicht vertragsbrüchig werden. „Was er ja nicht geworden wäre. Das ist alles ziemlich traurig und auch eine große menschliche Enttäuschung. Aber ich habe mit dem Thema jetzt abgeschlossen, es interessiert mich nicht mehr. Ich will nur, dass die Leute wissen, wie es wirklich gelaufen ist. Diese ganzen anderen Ge­schichten, die man sich hier in Kitzbühel so erzählt über ihn, über seine Ziehtante Moidi, seine Mutter, seinen Vater, und dass er angeblich seit Jahren, wenn er auf Tour­nee geht, seine Fans komplett bescheißt, weil seine Stimme von Band kommen soll – da halte ich mich raus.“ Seine Stimme kommt vom Band? „Kein Kommentar.“ Aber wenn das theoretisch stimmen wür­de, dieses Gerücht? „Dann wäre das na­türlich katastrophal. Seine Fans zahlen bis zu 80 Euro für ein Konzert, man hat als Künstler Verantwortung für seine Fans. Man kann sie nicht bescheißen, indem man nicht live singt – Todsünde. Obwohl ich als sein Produzent immer gehofft ha­be, dass er nicht live singen muss.“ Singt er denn so schlecht? „Man muss sagen, er hat eine schöne, weiche Stimme. Aber natürlich haben sich viele volkstümliche Gruppen gefragt: Warum der und nicht wir? Aber ich wusste, wenn der mit sei­nen Augen vor eine Kamera kommt, dann funktioniert es. Und es ist unser Geschick als Produzenten, dann auch die Lieder zu schreiben, die zu einer solchen Stimme passen.“ Und wenn Hinterseer jetzt wieder zu White zurückkommen möchte? „Nein, interessiert mich nicht mehr. Ich hab auch keinen Respekt mehr. Das wäre nach 14 Jahren mal seine Chance gewesen, ein bis­schen was zurückzugeben.“

Aber so ist es eben mit Leuten, die ges­tern noch niemanden interessierten und die heute die Hauptattraktion am Rum­melplatz sind. „Man muss es ja auch re­alistisch sehen, Hinterseer war maximal ein Prozent meines Lebensschaffens – ob er noch bei mir ist oder nicht, ist egal. Es geht nur um die menschliche Enttäu­schung, die sein Verhalten nach sich zieht. Ein Verhalten, das wahrscheinlich daraus resultiert, dass er den Erfolg einfach nicht verkraftet hat“, resümiert White. „Des­halb sag ich auch immer: Einer meiner wichtigsten Jobs ist es, dafür zu sorgen, dass meine Künstler nicht abheben. Sel­ber ist mir das nie passiert, das war nie mein Ding. Wir sind einfache Leute ge­blieben. Wenn Sie meine Freunde sehen, das sind alles ganz normale Leute. Mein bester Freund Heini aus Köln zum Bei­spiel, auf den kann ich mich verlassen, der ist immer da.“
Und das einfache, das nimmt man White ab, er redet schnörkellos, hat keine Allüren. Ein umgänglicher Mensch, der vermutlich genau so gern und oft lacht wie er grübelt, und von seiner Frau liebevoll „Schatzi“ genannt wird. Alles in allem: Bemerkenswert. Und nicht das, was man sich, nach diversen medialen Auftritten von Berufskollegen, unter Produzenten im Allgemeinen so vorstellt.
White hat sein neues Unternehmen nun ohne Hinterseer geplant, und es läuft gut. „Demnächst kommen drei große Künst­ler, da wird die Szene die Luft anhalten.“ Ob er jetzt denn glücklicher sei, nach dem Ausstieg aus seiner börsennotierten Firma (siehe Kasten)? „Ich war jahrelang Kon­zernchef, mein Kopf war woanders. Ich kann jetzt wieder das machen, was ich am besten kann: Lieder schreiben und pro­duzieren. Ich muss niemandem mehr was beweisen.“ Der ganze Rest interessiert ihn nicht mehr, denn: „Wer dich nicht will, hat dich nicht verdient“, zitiert der 67-Jährige seine Mutter. Und lacht.


Interview aus dem Echo Magazin / Österreich 2008

Foto: Erwin Schickinger

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